
#2 The Country Kitchen: Chasing The Next Verse
Kapitel 4
Miles Herz pochte so laut, dass er sicher war, es müsse im ganzen Raum zu hören sein. Doch er zwang sich, tief durchzuatmen. Er hatte den ersten Schritt gemacht. Der Song war raus. Und Dixie Dave hatte ihn gelobt. Aber jetzt? Jetzt begann der eigentliche Test.
Dakota sah ihn mit durchdringendem Blick an. Sie war keine von denen, die Komplimente machten, nur um jemanden aufzubauen. Wenn sie etwas sagte, dann meinte sie es auch so. Das wusste Miles inzwischen. Er straffte die Schultern, hob das Kinn leicht an und antwortete:
"Ich bin bereit."
Seine Stimme war fester, als er sich gerade noch gefühlt hatte. Dakota nickte langsam, dann stand sie auf, griff nach einem Stapel Notizen auf ihrem Schreibtisch und reichte sie ihm.
"Gut. Dann fang damit an. Das sind Songs, die wir für verschiedene Projekte im Studio brauchen. Schreib sie um. Mach sie zu deinen. Zeig mir, was du kannst."
Miles nahm die Blätter entgegen. Sein Blick glitt über die handschriftlichen Notizen, Kritzeleien und Akkordfolgen. Das hier war nicht nur ein Test. Es war eine Einladung.
Dixie Dave stand auf, klopfte ihm auf die Schulter.
"Weißt du, Junge, ein guter Song ist wie ein guter Whiskey. Er braucht Zeit, um zu reifen. Aber wenn du das richtige Gespür hast, weißt du schon beim ersten Schluck, dass er was Besonderes ist."
Miles lachte nervös. "Dann hoffe ich, dass ich das richtige Gespür habe."
Dixie zwinkerte ihm zu. "Du hast mehr als das. Du hast das Feuer. Jetzt halt es am Brennen."
Miles spürte das Gewicht der Blätter in seinen Händen, als wären sie mehr als nur Papier. Es war eine Chance. Ein Test. Vielleicht sogar der Beginn von etwas Größerem.
Er sah auf und traf Dakotas Blick. Ihre Augen waren klar und direkt, ohne ein bisschen von der Wärme zu verlieren, die hinter ihrer professionellen Fassade lauerte.
"Hör zu, Miles," begann sie mit ruhiger Stimme, die jedoch keinen Zweifel daran ließ, dass jedes ihrer Worte Bedeutung hatte. "Es geht hier nicht darum, dass du nicht deine eigenen Songs schreiben sollst. Ich weiß, dass du ein großartiger Songwriter bist. Aber im Musikbusiness läuft es nicht immer so, wie man es gerne hätte. Manchmal musst du Kompromisse eingehen. Manchmal bekommst du ein Thema, einen halbfertigen Song oder ein Konzept, das du nicht gewählt hättest. Die Frage ist: Was machst du daraus?"
Miles nickte langsam, die Worte sanken in ihm ein. Es war nicht nur ein Test seiner Fähigkeiten, sondern auch seiner Anpassungsfähigkeit, seiner Kreativität unter vorgegebenen Bedingungen.
Dakota trat einen Schritt näher, ihre Stimme wurde etwas weicher.
"Ich will sehen, wie du etwas nimmst, das nicht von dir stammt, und es trotzdem zu deinem eigenen machst. Ich will wissen, ob du den Funken auch dann entzünden kannst, wenn du nicht derjenige bist, der das Feuerholz gesammelt hat."
Miles atmete tief durch. "Ich verstehe."
Dakota verschränkte die Arme, lehnte sich leicht gegen den Schreibtisch und sah Miles ernst an. Ihre Augen funkelten, nicht mit Strenge, sondern mit einer Leidenschaft, die tief aus ihrer eigenen Erfahrung stammte.
"Versteh mich nicht falsch", begann sie ruhig, doch ihre Stimme trug einen Nachdruck, der den Raum füllte. "Ich will dich nicht ändern. Kein guter Produzent oder Mentor will das. Ein Künstler, der versucht, jemand anderes zu sein, verliert das, was ihn einzigartig macht. Dein Feuer, deine Stimme, deine Art, Geschichten zu erzählen – das ist dein Kern, und daran wird niemand rühren."
Sie machte eine kurze Pause, als wolle sie sicherstellen, dass ihre Worte ankamen. Dann fuhr sie fort:
"Aber auf dem Weg nach oben, auf diesem chaotischen, unvorhersehbaren Weg, gibt es Chancen. Manchmal kommen sie in einer Verpackung, die dir nicht gefällt. Ein Song, der nicht dein eigener ist. Ein Thema, das du nie selbst gewählt hättest. Doch genau diese Momente können der Schlüssel sein, der eine Tür öffnet, von der du nicht einmal wusstest, dass sie existiert."
Miles spürte, wie sich seine Schultern ein wenig entspannten. Es war nicht das, was er erwartet hatte, aber es war ehrlich. Und irgendwo tief in ihm wusste er, dass sie recht hatte.
"Es geht nicht darum, sich zu verbiegen," sagte Dakota leiser, fast als wäre es ein Geständnis. "Es geht darum, flexibel zu sein, offen. Die größten Künstler, die ich kenne, sind nicht die, die stur ihren eigenen Weg gegangen sind und jede Möglichkeit abgelehnt haben. Es sind die, die verstanden haben, dass Wachstum nicht immer bequem ist. Dass ein Funken manchmal von jemand anderem kommt, aber du entscheidest, wie du daraus ein Feuer machst."
Miles blickte zurück auf die Notizen in seinen Händen. Sie waren nicht nur ein Test. Sie waren eine Einladung, ein Werkzeug. Nicht, um ihn zu verändern, sondern um ihn herauszufordern.
Er sah zu Dakota auf, seine Stimme nun sicherer. "Ich werde es versuchen. Nicht, weil ich mich verbiegen will. Sondern weil ich sehen will, was ich daraus machen kann."
Dakota lächelte leicht, ein Ausdruck von Stolz und Anerkennung.
"Genau das wollte ich hören, der Song mag nicht von dir stammen, aber die Magie, die du hineinlegst, gehört nur dir."
Kapitel 5
Eine Woche später im Office von The Country Kitchen trat Miles mit einer Mischung aus Nervosität und Entschlossenheit durch die Glastür. In seiner Hand hielt er eine braune Papiertüte, aus der der verheißungsvolle Geruch von frisch gerösteten Kaffeebohnen entwich.
Mit einem schiefen Grinsen hob er die Tüte, als er den Raum betrat. "Ich habe den besten Kaffee der Stadt mitgebracht. Dachte mir, hier wird wahrscheinlich mehr Kaffee getrunken als Wasser, oder?" Sein Ton war locker, ein Versuch, die Spannung in seinem Inneren zu überspielen.
Dakota, die in der Ecke stand und sich mit ihrem A&R Pete unterhielt, drehte sich um. Ihr Lächeln war warm, aber ihre Augen blitzten mit jener Mischung aus Erwartung und professioneller Neugier, die Miles bereits kannte. "Das wird sich gleich herausstellen. Setz dich, Miles. Wir sind gespannt."
Der Raum war nicht groß, aber er wirkte bedeutungsvoll. Poster vergangener Erfolge zierten die Wände, und ein altes Mikrofon stand wie ein stilles Zeugnis unzähliger Geschichten in einer Ecke. Miles setzte sich, legte seine Notizen ordentlich auf den Tisch und atmete tief durch.
Er war nicht mehr der Miles von letzter Woche. Dakotas Worte hatten etwas in ihm ausgelöst. Kein Zweifel, kein Zögern – nur der Drang, zu zeigen, was in ihm steckte. Er griff zur Gitarre, strich einmal über die Saiten und begann zu spielen.
Seine Stimme füllte den Raum, rau und ehrlich. Die Songs waren nicht alle seine eigenen, aber er hatte sie zu seinen gemacht. Jeder Akkord, jede Zeile trug einen Teil von ihm in sich. Er sang von Nächten, die zu lang waren, von Liebe, die zu kurz hielt, und von Herzen, die öfter gebrochen wurden, als sie geliebt haben.
Als der letzte Ton verklang, war der Raum still. Nicht aus Mangel an Reaktion, sondern weil Worte manchmal nicht ausreichten. Dakota nickte langsam, ihr Lächeln nun breiter, echter.
"Du hast verstanden, worum es geht," sagte sie leise, fast mehr zu sich selbst als zu ihm. "Nicht der Song macht den Künstler. Der Künstler macht den Song."
Miles lächelte zurück, diesmal ohne Unsicherheit. "Ich dachte, das wäre der Plan."
"Und?" Ihre Stimme war weich, aber mit einem Unterton von Ernsthaftigkeit. "Wie siehst du dich selbst? Nicht nur hier und jetzt. Ich meine… wo gehörst du hin?"
Miles blinzelte kurz, überrascht von der Direktheit der Frage. Er senkte den Blick, als würde er die Antwort irgendwo zwischen den Rillen des alten Holztisches finden.
"Ich weiß nicht, ob ich das schon genau sagen kann," begann er langsam, während er seine Finger um den Becherrand legte. "Aber ich glaube, ich gehöre dahin, wo die Musik mich braucht. Da, wo ein Song mehr ist als nur eine Melodie. Wo Worte etwas bewegen, selbst wenn sie im Stillen verhallen."
Dakota nickte langsam, als wäre genau das die Antwort, die sie erwartet hatte. "Und was ist, wenn die Musik dich nicht braucht?"
Miles lächelte, ein schiefes, fast scheues Grinsen. "Dann brauche ich sie."
Ein kurzes Lachen entwich Dakota, nicht spöttisch, sondern warm und ehrlich. Sie stand auf, nahm ihre Kaffeetasse mit und ging zum Schreibtisch, drehte sich aber noch einmal zu ihm um. "Das ist der Unterschied. Diejenigen, die glauben, dass sie gebraucht werden, brennen irgendwann aus. Aber die, die wissen, dass sie die Musik brauchen, finden immer einen Weg."
Miles lehnte sich zurück. Dakotas Worte hallten in seinem Kopf nach, ein Echo, das sich langsam zwischen den Rissen seiner eigenen Zweifel festsetzte. Er sah ihr nach, wie sie hinter der Theke verschwand, das Licht der alten Glühbirne tanzte in ihren Haaren.
"Weißt du," begann er schließlich, seine Stimme ein wenig rau vom Kaffee und den unausgesprochenen Gedanken, "ich hab nie wirklich geglaubt, dass die Musik mich braucht. Aber sie war immer da. Wie ein Schatten an Tagen, an denen das Licht zu grell war, oder ein Feuer, wenn alles andere zu kalt wurde."
Dakota blieb stehen, den Kopf leicht geneigt. Sie sagte nichts, und genau das gab Miles den Raum, den er brauchte.
"Mit 19 dachte ich, ich hätte das Leben verstanden. Ich bin mit nichts als einer abgewetzten Gitarre und ein paar Songs im Kopf losgezogen. Hab in Bars gespielt, die so leer waren, dass ich manchmal dachte, ich würde nur für die Stühle singen. Aber da war dieses eine Mal in Tulsa..."
Er hielt kurz inne, als würde er die Szene wieder vor sich sehen.
"Ein kleines Loch, kaum größer als dieser Raum hier. Da saß ein Typ an der Bar, sah aus, als hätte er mehr Whiskey als Hoffnung intus. Ich hab 'nen Song gespielt, den ich am Tag davor geschrieben hatte. Ging um Verluste, um Dinge, die man nicht festhalten kann, egal wie sehr man will. Nach dem Song kam er zu mir, drückte mir einen zerknitterten Fünfer in die Hand und sagte nur: 'Danke. Du hast genau das gesagt, was ich nicht aussprechen konnte.'"
Miles lächelte schief und drehte den Becher in seinen Händen.
"Das war der Moment, in dem ich wusste, warum ich das mache. Nicht für Applaus oder Geld. Sondern für genau diese eine Person, die etwas in meinen Worten findet, das sie braucht."
Dakota stellte ihre Tasse ab, kam zurück und setzte sich ihm gegenüber.
"Und seitdem?" fragte sie leise.
Miles zuckte mit den Schultern. "Ich hab Fehler gemacht. Hab Menschen verloren, weil ich dachte, die Musik wäre wichtiger als Beziehungen. Hab Nächte durchgesoffen, in der Hoffnung, dass der Kater meine Unsicherheiten wegspült. Aber am Ende... war es immer die Musik, die mich wieder zusammengeflickt hat."
Dakota betrachtete Miles eine Weile schweigend, ihre Gedanken kreisten um jemanden, den sie gut kannte.
"Weißt du, das erinnert mich an Dave," sagte sie schließlich, ihre Stimme warm und ruhig. Miles hob den Blick, ein fragendes Funkeln in seinen Augen.
"Dave?" wiederholte er.
"Ja. Er war genauso. Hat sich in der Musik verloren, dachte, er müsste alles alleine durchstehen. Hat nie jemanden an sich rangelassen, bis er irgendwann gemerkt hat, dass das Schweigen schwerer wiegt als die Worte, die man nicht sagt." Sie lehnte sich ein Stück vor. "Falls du mal jemanden brauchst, um zu reden, Dave ist immer da. Er sagt immer, er wünschte, er hätte damals jemanden gehabt, der einfach nur zugehört hätte. Vielleicht sieht er in dir ein bisschen von sich selbst."
Miles nickte langsam, als würde er die Worte in sich aufnehmen, sie von allen Seiten betrachten. Dann, ein schiefes Lächeln auf den Lippen, das ein bisschen Erleichterung und ein Hauch von Selbstironie verriet, murmelte er: "Ich hab immer gesagt, ich bin irgendwo zwischen Warren Zeiders und Brett Young. Nur… nicht ganz so sexy."
Dakota konnte nicht anders, als in ein warmes, echtes Lachen auszubrechen, das den Raum für einen Moment mit einer Leichtigkeit füllte, die Miles schon lange nicht mehr gespürt hatte.
"Weißt du was, Miles, du redest hier von deinen Fehlern, von Nächten voller Zweifel und dem ganzen Chaos. Aber ich höre dazwischen etwas anderes. Ich höre, und sehe vor allem auf Social Media jemanden, der noch immer da ist, der noch immer Musik macht, trotz allem. Das ist kein Scheitern. Das ist Überleben."
Miles sah sie an, seine Augen ein wenig heller, als würde ein Funke Hoffnung darin flackern. "Ja? Und was willst du mir damit sagen?"
Dakota griff in ihre Tasche und zog drei sorgfältig gefaltete Papiere hervor, die sie vor ihm auf den Tisch legte. Ihre Finger strichen kurz über das Papier, bevor sie zu ihm aufsah.
"Ich möchte dir etwas anbieten, Miles. Einen Record Deal, einen Publishing Deal und einen Managementvertrag. Aber hier ist der Haken – es gibt keinen. Du entscheidest, was du willst. Nimm einen, nimm alle oder nimm keinen. Ich will nicht, dass du dich gefangen fühlst. Ich will nur, dass du weißt, dass es Menschen gibt, die an dich glauben."
Miles starrte auf die Papiere, als wären sie Artefakte aus einer Welt, von der er dachte, sie sei ihm für immer verschlossen. Er schluckte schwer, seine Finger zitterten leicht, als er einen der Verträge berührte, aber nicht aufhob.
"Wow, ich bin sprachlos," flüsterte er schließlich.
Dakota lehnte sich leicht zurück, ihr Blick weich, aber bestimmt. "Ich will nicht, dass du jetzt entscheidest, Miles," sagte sie mit ruhiger Stimme. "Schlaf ein paar Nächte drüber, zwei, vielleicht drei. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Lies sie dir in Ruhe durch, lass sie von jemandem prüfen, dem du vertraust – am besten von einem Anwalt."
Miles hob den Kopf, seine Augen suchten in ihrem Gesicht nach einem versteckten Motiv, doch da war keins. Nur Aufrichtigkeit. Das Gewicht der letzten Jahre, der verpassten Chancen und gebrochenen Versprechen schien ihn kurz niederzudrücken, bevor er leise nickte.
"Du meinst das wirklich ernst, oder?" Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, eine Mischung aus Unglauben und Hoffnung.
Dakota lächelte sanft. "Ich meine das todernst. Du hast Talent, Miles. Aber wichtiger als das – du hast eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden. Ich will dir nur die Bühne geben, die du verdienst. Der Rest liegt bei dir."
Miles atmete tief durch, als wolle er den Moment festhalten. Seine Finger glitten erneut über das Papier, diesmal mit weniger Zögern. "Okay," sagte er schließlich, seine Stimme etwas fester. "Ich werde darüber nachdenken."
Dakota nickte, stand auf und klopfte ihm leicht auf die Schulter. "Gut. Und egal, wie du dich entscheidest – das hier ändert nichts daran, dass ich an dich glaube."